willkommen in der public domain

Lieber Henri Matisse.

Ab heute bist du dabei, mit vielen Berufskollegen, in der Public Domain. Auf Deusch haben wir Wörter wie Gemeingut oder Allgemeingut dafür, geläufiger ist aber der Anglizismus. Wie du weisst, erlöschen 70 Jahre1 nach dem Ableben sämtliche Urheberrechte2 an den eigenen Werken. Am 1. Januar wird daher jedes Jahr eine Party für alle Neuaufgenommenen geschmissen. Der Public Domain Day – der Tag der Gemeinfreiheit – geht leider immer etwas unter im Schatten des Neujahr-Brouhahas, obwohl er der Impact weitaus grösser ist als ein Feuerwerk an Glückwünschen und bald eh obsoleten guten Vorsätzen.

Deine Werke, Henri, gehören jetzt also gänzlich der ganzen Menschheit. Deine «Freude des Lebens» sprang zwar schon 1905/06 auf uns über. Aber ab sofort darf ich Postkarten vom «Blauen Akt II» (1952) und Poster von der «Schnecke» («L’escargot», 1953) publizieren – und schulde niemandem mehr Rechenschaft und Geld dafür. Bislang konnten deine Nachkommen von deinen Gemälden und deren Vermarktung profitieren. Dieser «Tanz» (1910) ist aber seit Mitternacht definitiv vorbei – oder besser: läuft jetzt mit neuer Musik.

im artikel erwähnte werke von matisse: «la joie de vivre», «nu bleu II», «la dance»

Aber hey, 70 Jahre nach dem Tod sind eine lange Zeit. Stell dir einen Menschen vor, der im Jahr 2000 geboren ist, heuer 25 Jahre alt wird und eine Lebenserwartung von 80 Jahren hat. Er hat im Alter von fünf Jahren eine originelle Zeichnung gekritzelt. Man kann sich schwer vorstellen, dass dieses Kunstwerk (und man muss das Wort unter Umständen besser in Anführungszeichen setzen) bis ins Jahr 2150, also noch weitere 125 Jahre, weltweiten Urheberschutz geniesst. Wie sic ist denn das?!

Und zwar ohne dass das Werk irgendwo speziell angemeldet werden muss. Kostenlos. Einfach durch die Veröffentlichung im grösseren Kreis. Mit reiner Kenntnisnahme. Also ganz anders als bei Patenten, die man aufwendig Land für Land auf eine gewisse Zeit für teures Geld eintragen lassen muss.

Das Urheberrecht ist daher eine grossartige Errungenschaft der Menschheit – die ersten Gesetze zum Schutz der Urheberinnen und Urheber entstanden in England, den USA und Frankreich im 18. Jahrhundert – und hebt das Schaffen mit Worten, Klängen, Farben und mittlerweile auch Programmcode auf ein hohes Podest. Was aber nötig ist, damit kreatives Schaffen überhaupt stattfindet und sich lohnt. Ein ganz neuartiges Wirtschaftssegment wurde also damals auf dem Konzept geschaffen, dass auch immaterielle Güter wie etwa ein Gedicht einer Person gehören.

Ebenso cool ist es aber, dass das Ganze auch mal ein Ende findet und ins Selbstbedienungs-Weltkulturerbe übergeht, so wie gerade vor ein paar Stunden mit deinem künstlerischen Output geschehen. Den heissesten Shit, den die Meister unserer Zeit hervorbringen, werden wir selbst nicht mehr als Gemeingut erleben. Auch auf den Dernier Cri von gestern müssen wir noch etwas gedulden: Picassos Werke gelangen 2044 in die Public Domain. Andy Warhol wird erst 2058 rausgeholt. Und auch Max wird erst 2062 wieder Frisch.

Ebenfalls heute gehen die Werke von Alan Turing (britischer Mathematiker,  Turingmaschine), Frida Kahlo (mexikanische Malerin) und vielen andern in die Public Domain ein. Die Neuzuzügerliste kann sich sehen lassen, auch wenn die meisten Namen wohl nicht (mehr) bekannt sind. Servez-vous und macht was draus!

Also, Henri, nochmals willkommen im Klub! Ich habe schon mal eines deiner Werke überarbeitet und mit der eigenen Unterschrift zu versehen. Da dies jedoch keine genug grosse Eigenleistung beinhaltet und nicht offiziell als originell gilt, geniesst es keinen Urheberschutz und ist schon per sofort Allgemeingut. Aber über die sogenannte «Schöfungshöhe» reden wir dann ein anderes Mal. Heute einfach mal das Glas vollschöpfen und in die Höhe heben, zurücklehnen und in die reicher gewordene Public Domain reinschmökern … Santé!

«l’escargot»von matisse in einer neuen interpretation
«l’escargot» (rechts oben das original aus dem jahr 1953) neu interpretiert als vier-jahreszeiten-tetraptychon
  1. Schutzdauer abweichend: je nach Land zwischen 30 und 100 Jahren, die meisten geben jedoch 50 oder 70 Jahre. Weit uneinheitlicher sind die jeweiligen Gesetze. ↩︎
  2. Urheberrecht der Schweiz: https://fedlex.admin.ch/eli/cc/1993/1798_1798_1798/de ↩︎

Matisse in der Fondation Beyeler, Riehen/BS, noch bis 26. Januar 2025: https://fondationbeyeler.ch/ausstellungen/henri-matisse

Henri Émile Benoît Matisse, 31.12.1869–03.11.1954, französischer Maler, Grafiker, Zeichner und Bildhauer

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logos im kreisverkehr

hier mal auch noch etwas logo-politisches. es geht um kunst im kreisel (in der schweiz wird der kreisverkehrsplatz kurz und bündig als «kreisel» bezeichnet.)

die kreisverkehrsinseln werden häufig mit kunst bestückt. das soll das straßenbild etwas aufpeppen. allzu auffällig darf das jeweilige kunstwerk dann aber doch nicht sein – sonst gilt es als ablenkung.

eine weitere vorschrift ist: keine kommerzielle werbung (eben: ablenkung. wobei: lenkt nichtkommerzielle werbung weniger ab?). der eishockeyverein kloten (besser bekannt als ehc kloten) hat einer kreisinsel in kloten/zürich einen riesenpuck geschenkt – 5 meter hoch, 3 tonnen schwer. so weit so gut. nur zierte das logo des vereins den puck.

das beschäftigte dann die beamten. ist das logo nun kommerzielle werbung? der bei der bevölkerung beliebte puck erhielt eine sondergenehmigung, die jedoch 2017 auslief. danach wurde verfügt, dass der puck weg muss. die stadt kloten kam dieser aufforderung jedoch nicht nach. erst wurde der ganze puck mit planen bedeckt, die jedoch (wohl von fans) wieder immer wieder entfernt wurden. später wurde das logo von offizieller stelle überklebt.

im rahmen einer neubeurteilung (man nahm mittlerweile zur kenntnis, dass es sich um ein «wahrzeichen» handelt) wurde dem puck eine sonderbewillung erteilt. er darf bis zur nächsten instandsetzung des kreisels bleiben. vorläufig ist also ruhe. bis es dann in ein paar jahren in die nächste paragraphenreitereirunde geht.

puck im kreisverkehr in kloten
der puck auf der kreisverkehrsinsel in kloten bei zürich.
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